Politik – Juni 2020
Wir sind von der Poliklinik Leipzig und freuen uns heute hier zu sein. Vor etwa einem Jahr haben wir auf der unteilbar-Demo in Dresden einen ganz ähnlichen Redebeitrag gehalten, denn das was gerade besonders sichtbar wird, ist schon länger ein Problem!
Selten wurde so viel und breit über Gesundheit und Solidarität gesprochen, wie in den letzten Monaten.
Selten wurden diese beiden Begriffe so verwaschen und unspezifisch genutzt.
Fast alle politischen Maßnahmen und Entscheidungen im Rahmen der Corona-Pandemie wurden unter dem Label Gesundheit getroffen. Die Gesundheit aller stünde nun an erster Stelle - heißt es. Doch die Gesundheit aller stand noch nie an erster Stelle.
Wenn von der Politik und in der Öffentlichkeit über Gesundheit gesprochen wird, geht es dabei häufig nur um die Abwesenheit von Krankheit und unser individuelles Verhalten. In den letzten Wochen hieß gesund sein vor allem "nicht an Covid-19 erkrankt zu sein". Doch dies allein reicht nicht aus.
Die WHO definiert Gesundheit als "Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen".
Wir wissen, dass Sport, eine ausgewogene Ernährung und aktuell gewisse Verhaltensregeln uns gesund halten und Tabak, Alkohol oder Fastfood ungesund sind.
Darüber, dass aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, entscheiden, ob wir krank werden oder früh sterben, wird wenig geredet.
Dabei zeigen Studien, dass Arme Menschen bis zu 10 Jahre früher sterben als Reiche.
Es ist erwiesen, dass Menschen, die schlechten oder unsicheren Wohn- und Arbeitsverhältnissen ausgesetzt sind oder Rassismus erfahren, mit höherer Wahrscheinlichkeit z.B. an chronischen Krankheiten erkranken und oft schwerere Krankheitsverläufen erleiden.
Dies gewinnt auch in der aktuellen Situation an Bedeutung!
Genauso wie wir wissen, dass rauchen tötet, sollte uns klar sein, dass Armut tötet.
Nicht nur mangelnde Bewegung oder eine ungesunde Ernährung machen krank, sondern vor allem der Stress mit dem Chef oder dem Jobcenter macht krank!
Steigende Mieten trotz Schimmel in der Wohnung machen krank!
Und die Ausbeutung von Frauen und Queers in der Haus- und Pflegearbeit macht krank!
Der alltägliche Rassismus macht krank!
Und nicht nur das, er tötet auch, wie wir unlängst wieder erleben mussten.
Diese sogenannten sozialen Determinanten von Gesundheit zeigen, dass Gesundheit eine politische und soziale Frage ist. Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgung muss mehr sein als die Behandlung von individuellen Erkrankungen. Sie muss darauf zielen, soziale Verhältnisse grundlegend zu ändern. Zum Beispiel durch: eine gleichmäßige Reichtumsverteilung, gerechte Wohn- und Arbeitsverhältnisse, nachhaltige Umweltpolitik, die Bekämpfung von Rassismus und die Gleichstellung der Frau.
Wirkliche gesundheitliche Chancengleichheit, lässt sich nur durch einen grundlegenden Wandel, hin zu einer solidarischen und gleichberechtigten Gesellschaft realisieren!
In der jüngsten Krise wurde viel Solidarität sichtbar, sei es durch Einkaufshilfen für z.B. Ältere und Risikogruppen, Hilfen für Wohnungslose oder Spendenkampagnen für von der wirtschaftlichen Krise Betroffenen. In vielen Städten haben sich kleine solidarische, meist ehrenamtliche Netzwerke aufgebaut und gezeigt, dass Solidarität in der Praxis funktionieren kann.
Diese Anfänge gilt es nun zu verstetigen und auszubauen, denn die wirtschaftliche und soziale Krise ist noch lange nicht vorbei.
Im Schatten von Corona nehmen die gesellschaftlichen Missstände weiter zu und Problemlagen verschärfen sich. Zum einen hatten und haben die Ausgangs- & Kontaktbeschränkungen einen großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden Vieler. Tendenzen der Vereinzelung wurden verstärkt und für viele hieß "Stay at Home" auch in einem unsicheren Umfeld verharren zu müssen.
Die eigene Wohnung ist häufigster Tatort von häuslicher Gewalt gegenüber Kindern, Frauen & Queers. Durch Schließungen von Kitas, Schulen und Beratungsstellen sind auch soziale Frühwarnsysteme weggebrochen - Notfallhotlines für Betroffene von häuslicher Gewalt vermeldeten rapide steigende Betroffenenzahlen.
Für viele war ein "stay at home" und/oder das Einhalten von Hygienemaßnahmen auch schlicht weg nicht möglich, zum Beispiel für Wohnungslose und Geflüchtete.
Im Verlauf der Krise steigen die Arbeitslosenzahlen, Kurzarbeit nimmt zu, Selbstständige vor allem im Kunst- und Kulturbereich stehen vor dem Aus, Minijobs brechen weg und Viele leiden unter Existenzängsten.
Doch der Großteil der staatlichen Hilfen fließt in große Unternehmen, meist in veralteten und klimaschädlichen Wirtschaftszweigen. In Unternehmen, die nach wie vor große Dividenden ausschütten wollen, während sie staatliche Hilfen in Anspruch nehmen und Beschäftigte unter schlechten Arbeitsbedingungen und erhöhtem Infektionsrisiko weiterarbeiten mussten.
Darüber hinaus wurde ein Großteil der unbezahlten Care-Arbeit in dieser Krise von Frauen geleistet.
Die Maßnahmen aus dem neuesten Konjunkturpaket der Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus.
Von der großen Solidarität ist außer Klatschen und einem lächerlichen, einmaligen Bonus nicht viel übriggeblieben.
Viele der sogenannten systemrelevanten Berufe erhalten kaum eine Unterstützung.
Gerade für die Beschäftigten im Sozial- & Gesundheitsbereich ist das die pure Farce.
Krisen gingen, wie auch in der Finanzkrise 2008, immer auf Kosten von prekarisierten und marginalisierten Gruppen!
Wir sagen, dass kann nicht schon wieder die Antwort auf die Krise sein! Es braucht nun eine starke Gemeinschaft, die solidarisch zusammensteht und sich dem gemeinsam entgegenstellt.
Nun ist es an uns, eine Antwort auf diese soziale Frage zu geben und zu sagen:
So geht Gesundheit! So geht Solidarisch!
Wir fordern:
Ein solidarisches und bedarfsorientiertes Gesundheitssystem für alle!
Für eine solidarische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Diskriminierung!
Denn es gibt kein gesundes Leben im Kranken System!