Neuigkeiten – März 2021

Welttag gegen Rassismus

Exit_Racism_Packshots-p-800.jpg

++ English version below ++

 

Triggerwarnung: Beschreibung von strukturellem Rassismus in der Gesundheitsversorgung, Rassismus als soziale Determinante von Gesundheit, Beschreibung von white privilege, Bezug zu Hanau

 

Im folgenden Text wollen wir versuchen, die Zusammenhänge von Rassismus und Mehrfachdiskriminierung als soziale Determinante und damit die Notwendigkeit zur Intersektionalität in der Gesundheitsversorgung zu umreißen. Dabei besteht kein Anspruch zur Vollständigkeit.

 

Der Zugang zu Gesundheitsfachberufen und universitärer Bildung und besonders der zu zugangsbeschränkten Studienfächern wie Psychologie und Medizin ist für viele     BIPoC aufgrund von institutionellem Rassismus in Schulen und Universitäten deutlich schwerer zu erreichen, als für weiße Menschen. Diese Zusammensetzung spiegelt sich zum Beispiel auch in unserer weißen Politgruppe wieder. Was dies für einen intersektionalen Ansatz in der modernen Gesundheitsversorgung bedeutet wird schnell klar: Aktuell fehlen wichtige Perspektiven und Impulse und das Gesundheitsystem ist nur eines von vielen Beispielen, was zeigt, dass sich postkoloniale Kontinuitäten in die Welt, die uns umgibt, eingeschrieben haben. Uns ist bewusst, dass wir als Gruppe mit unserer rassismuskritischen und intersektionalen Auseinandersetzung noch am Anfang stehen.

 

Betroffenheit von Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus und weiteren Ausschlussmechanismen kann Ursache für psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen und posttraumatische Belastung sein. Dabei treffen Rassismuserfahrungen und Mikroaggressionen im Alltag, Flucht und andere existenzielle Notlagen BIPoC in hohem Maß und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, zu erkranken. Die genannten Mechanismen können als soziale Determinanten von Gesundheit begriffen werden, die den Zugang zu Gesundheitsversorgung maßgeblich negativ beeinflussen. Zudem wirken auch die äußeren krankmachenden Umstände häufig als Hindernis, sich mit den Erkrankungen auseinanderzusetzen und einen Heilungsprozess zu beginnen. So sagte zum Beispiel Serpil Temiz Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, der am 19. Februar 2020 Opfer des rassistisch motivierten rechtsterroristischen Anschlages in Hanau wurde: 

    „Was hilft mir ein Therapeut, solange diese Gefahr da ist?“

 

Die therapeutische Arbeit mit Traumafolgestörungen kann in der Regel erst richtig beginnen, wenn die äußeren Umstände es gestatten und keine akute Bedrohung, Täterkontakt oder aktueller Bezug zum Traumageschehen besteht. Weitere Umstände, die einen Heilungsprozess negativ beeinflussen sind rassistische Polizeigewalt und racial profiling, Versagen von Sicherheitsbehörden, Anschuldigungen Betroffener oder stark in die Länge gezogene, bürokratisierte Asylverfahren, die oft keine Aussicht auf Erfolg haben.

Somit gibt es also erschwerte Zugangsmöglichkeiten zu Gesundheitsfachberufen für BIPoC ebenso wie äußere Umstände, die im Falle einer (psychischen) Erkrankung einen Heilungsprozess behindern. Dazu kommt, dass Gruppen außerhalb der (weißen) Dominanzgesellschaft häufig auch in der (psychischen) Gesundheitsversorgung deutlich benachteiligt sind. So ist es für Schwarze Menschen bedeutend schwerer, einen Therapieplatz zu finden und zu behalten.

Zudem gibt es viel zu wenig antirassistisch geschultes Fachpersonal mit machtkritischen und traumasensiblen Ansätzen und es herrscht ein Mangel an Therapeut*innen, Ärzt*innen und Psycholog*innen of Color, insbesondere in Sachsen. Daraus ergibt sich z.B. die Problematik, dass BIPoC in einem Therapiesetting ihre eigene Betroffenheit erklären müssen, wenn sie mit ungeschultem Fachpersonal arbeiten. Dies kann unter Umständen auch retraumatisierend wirken.

 

Medizinische Forschung und Fachliteratur orientiert sich an weißen cis-männlichen Körpern, was mitunter tödliche Folgen für Schwarze Menschen haben kann, wenn z.B. ihre Hautfarbe bei Diagnosestellungen nicht berücksichtigt wird. Viele Krankheiten, z.B. Meningitis, manifestieren sich als rötlicher Ausschlag auf der Haut auf weißen Körpern. Die Symtomatik auf Schwarzen Körpern sieht dagegen deutlich anders aus. Auch FLINTA* oder Menschen mit Behinderung, werden von der Zentrierung auf weiße, cis-männliche Körper in der Medizinforschung und Literatur strukturell benachteiligt.

 

Eine weitere soziale Determinante ist die Verschränkung der Themenbereiche Arbeit und Gesundheit. Migrant*innen, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit Behinderung und FLINTA* sind unverhältnismäßig oft in prekären Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnsektor mit erhöhtem Infektionsrisiko beschäftigt. Insbesondere während der Covid 19 Pandemie sind sie einem deutlich heraufgesetzten Risiko ausgesetzt, zu erkranken. Eine Studie vom Robert Koch Institut (16.3.2021) zeigt, dass in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands die Covid-19-Todesfälle deutlich höher waren, als in weniger benachteiligten Teilen.

Auch ohne Corona arbeiten die genannten Gruppen unter krankmachenden Bedingungen, während ihnen Gesundheitsversorgung als soziale Ressource eher verwehrt bleibt. 

Die Covid-19-Pandemie hat auch bestimmte Rassismen weiterhin verstärkt oder sichtbar gemacht, so zum Beispiel Anti-Asiatischen Rassismus oder Rassismus gegen Sinti*zze und Roma*nja. Hier werden in öffentlichen Diskursen rassistische Fremdzuschreibungen mit vermeintlichen infektionsauslösenden Geschehen (der Markt in China, Spargelstecher*innen etc.) in Verbindung gebracht und rassistische Ressentiments und Gewalt befeuert.

 

Daher sind unsere Forderungen

 

  1. (Post-) koloniale und (post-) nationalsozialistische Verbrechen und ihre Auswirkungen auf unser heutiges Zusammenleben müssen kollektiv anerkannt werden.

  2. Verantwortung in rassistischen, sexistischen, ableistischen, klassistischen, queer- und transfeindlichen, fatshamenden, ageistischen und weiteren Kontexten muss konsequent übernommen werden und in einer selbstkritischen Auseinandersetzung münden. Wir sind alle Täter*innen.

  3. Medizinische und psychosoziale Gesundheitsversorgung muss für alle Menschen zugänglich sein.

  4. Vom Asylverfahren bis zur Physiotherapie: Medizinisches und psychosoziales Fachpersonal muss machtkritisch, antirassistisch und traumasensibel ausgebildet sein. 

  5. Fachliteratur und Medizinforschung muss Diversität abbilden und darf nicht nur von cis-männlichen, weißen Körpern ausgehen.

  6. Die interdisziplinäre und intersektionale Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene muss gefördert werden.

  7. Der Zugang zu gesundheitspolitischen Berufen sollte so gestaltet sein, dass gesellschaftliche Diversität abgebildet wird.

  8. Arbeitsbedingungen sollten für alle Menschen nicht nur auf dem Papier sondern auch in der Realität sicher sein.

  9. Wir hoffen, dass durch diesen Text die Hürde niedriger wird, sich mit einem Anliegen an uns zu wenden und unsere Beratungsangebote wahrzunehmen. Wir wissen, dass dies ein enormer Vertrauensvorschuss ist!  All die beschriebenen Zustände können nicht so bleiben und wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass sie sich ändern. 

 

Glossar: 

  • BIPoC: Black, Indigenous, People of Color

  • FLINTA*: Female, Lesbian, Intersexual, Non-Binary, Transsexual, Asexual,*

  • cis-gender: Geschlechtsidentität entspricht dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht

 

Quellen und Möglichkeiten zur Weiterbildung:

 

Bücher

 

Einzelpublikationen

 

Podcasts

  • Advieh-Podcast – Pajam (Spotify)

  • Public Health Podcast (Folge 25) – Rassismus als soziale Determinante

  • Somali Vendetta – Intersectional Feminism (Redebeitrag zum feministischen Frauenkampftag am 8. März)

 

Podium

 

Projekte/ Vereine

 

Studien

 

English version

Trigger warning: Description of structural racism in health care, racism as a social determinant, description of white privilege, relation to Hanau

 

In the following text we will try to outline the connections between racism and multiple discrimination as a social determinant and thus the need for intersectionality in health care.  There is no claim to completeness.

Access to health professions and university education, and especially to restricted-access fields of study such as psychology and medicine, is significantly more difficult for many BIPoC than for white people due to institutional racism in schools and universities. This composition is also reflected in our white political group, for example. What this means for an intersectional approach to modern health care quickly becomes clear: currently, important perspectives and impulses are missing, and the health care system is just one of many examples, showing that postcolonial continuities have inscribed themselves in the world that surrounds us. We are aware that as a group we are still in the beginning stages of our critical and intersectional engagement with racism.

 

Being affected by racism, sexism, classism, ableism and other mechanisms of exclusion can be the cause of mental illness such as anxiety disorders or depression and post-traumatic stress. In this context, experiences of racism and microaggressions in everyday life, flight and other existential adversities affect BIPoC to a high degree and increase the likelihood of becoming ill. The aforementioned mechanisms can be understood as social determinants of health that have a significant negative impact on access to health care. In addition, external circumstances that cause illness also often act as barriers to addressing illness and beginning a healing process. For example, Serpil Temiz Unvar, the mother of Ferhat Unvar, who was a victim of the racist right-wing terrorist attack in Hanau on February 19, 2020, said: 

    „What good is a therapist to me as long as this danger is still there?“

 

Therapeutic work with trauma sequelae can usually only begin properly when external circumstances permit and there is no acute threat, contact to perpetrators, or current reference to the traumatic event. Other circumstances that negatively influence a healing process are racist police violence and racial profiling, failures of security authorities, victim blaming or severely protracted, bureaucratized asylum procedures that often have no prospect of success.

 

In addition to more difficult access to health care professions and framework conditions that tend to hinder a healing process, groups outside the (white) dominant society are often at a significant disadvantage in (mental) health care as well. For example, it is significantly more difficult for Black people to find and keep a place in therapy. On the other hand, there are far too few anti-racist trained professionals with power-critical and trauma-sensitive approaches and there is a shortage of therapists, doctors and psychologists of Color, especially in Saxony. This results, for example, in the problem that BIPoC have to explain their own affectedness in a therapy setting when they work with untrained professionals. Under certain circumstances, this can also have a retraumatizing effect.

 

Medical research and literature is oriented toward white cis-male bodies, which can sometimes have deadly consequences for Black people if, for example, their skin color is not taken into account when making diagnoses. Many diseases, e.g. meningitis, manifest as a reddish rash on the skin on white bodies. Symtomatics on black bodies, on the other hand, look significantly different. FLINTA* or people with disabilities, are also structurally disadvantaged by the centering on white, cis-male bodies in medical research and literature.

 

Another social determinant is the intertwining of the issues of work and health. Migrants, people with a migration history, people with disabilities and FLINTA* are disproportionately often employed in precarious jobs in the low-wage sector with an increased risk of infection. In particular, during the Covid 19 pandemic, they are at significantly increased risk of contracting the disease. A study from the Robert Koch Institute (March 16, 2021) supports this fact and shows that Covid 19 deaths were significantly higher in socially disadvantaged regions of Germany than in less disadvantaged parts.

But even without Corona, the aforementioned groups work under conditions that make them ill, while health care as a social resource tends to be denied to them. 

 

We hope that this text will lower the hurdle to contact us with a concern and to take advantage of our counseling services. We know that this is an enormous leap of faith!  All the described conditions cannot stay like this and we have to work together to change them. Therefore, our demands are:

 

  1. (Post-) colonial and (post-) national socialist crimes and their effects on our coexistence today must be collectively recognized.

  2. Responsibility in racist, sexist, ableist, classist, queer- and trans-hostile, fatshamist, ageist and other contexts must be taken consequently and lead to a self-critical discussion. We are all perpetrators.

  3. Medical and psychosocial health care must be accessible to all people.

  4. From the asylum procedure to physiotherapy: medical and psychosocial professionals must be trained to be critical of power, anti-racist and sensitive to trauma. 

  5. Professional literature and medical research must reflect diversity and not only be based on cis-male, white bodies.

  6. Interdisciplinary and intersectional collaboration at the community level must be encouraged.

  7. Access to health professions must reflect societal diversity.

  8. Working conditions should be safe for all people, not just on paper but in reality.

nächster Beitrag